
FachkräfteeinwanderungsgesetzMehr Wege in den deutschen Arbeitsmarkt
Der Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung wurde am 23. Juni 2023 in 2. und 3. Lesung vom Bundestag beschlossen. Das Gesetz sieht mehr Wege als bisher vor, um zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen:
- Chancenkarte (§ 20a AufenthG-E): Die Chancenkarte zum Zwecke der Arbeitsplatzsuche kann um bis zu zwei Jahre verlängert werden, wenn ein Arbeitsvertrag oder ein verbindliches Arbeitsplatzangebot vorliegen und die Voraussetzungen für die Erteilung einer anderen Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Erwerbstätigkeit noch nicht erfüllt sind, z. B. die Anforderungen für Sprachkenntnisse. Eine vorhandene Qualifikation in einem Engpassberuf wird zu einem Punkteerwerb berechtigendes Kriterium für die Chancenkarte. Zudem wird die Mindestvoraussetzung an Deutschkenntnissen auf A1 abgesenkt. Darüber hinaus wurde durch Ergänzung von § 20a Absatz 4 Satz 3 Nr. 1 c) die Möglichkeit zur Nutzung der Chancenkarte für Personen eröffnet, die einen im Ausland erworbenen Abschluss haben, der auf einer der deutschen Berufsausbildung entsprechenden Ausbildung im Ausland beruht und von einer deutschen Auslandshandelskammer erteilt wurde. Diese Privilegierung für Abschlüsse der IHK-Organisation wurde erst äußerst kurzfristig in das Gesetz aufgenommen. Der ZDH hat die Politik bereits aufgefordert, Abschlüsse deutscher Handwerkskammern ebenfalls aufzunehmen.
- Ausweitung der sog. Westbalkanregelung (§ 26 Abs. 2 BeschV): Aufgrund des Entschließungsantrages kann die sog. Westbalkanregelung Bestandteil möglicher zukünftiger Migrationsabkommen der Bundesregierung mit anderen Herkunftsstaaten werden.
- Fachkräfte mit Berufserfahrungen (§ 19c AufenthG-E i. V. m § 6 BeschV-E): Formelle Bildungs- und Ausbildungsverfahren der Außenhandelskammern werden für die Nutzung des § 6 BeschVO anerkannt. Der Nachweis über die Voraussetzungen ist über eine Bestätigung durch das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) zu erbringen (vgl. auch § 90 Abs. 3b BBiG-E). Auch zu dieser Regelung fordert der ZDH durch nachträgliche Korrektur die Berücksichtigung der Handwerkskammern.
- Rücknahme der Verlängerung der Aufenthaltsdauer bei betrieblicher Anpassungsqualifizierung (§ 16 d Absatz 3 AufenthG-E): Die im Regierungsentwurf vorgesehene Verlängerung der Aufenthaltsdauer von zwei auf drei Jahre wurde im parlamentarischen Verfahren wieder gestrichen. Es bleibt bei der gültigen Dauer vom maximal 2 Jahren.
- Spurwechsel aus dem Asylverfahren (§ 10 Abs. 3 AufenthG-E): Potentielle Fachkräfte, die noch im Asylverfahren oder im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG sind, können in eine Aufenthaltserlaubnis wechseln, wenn sie sich bereits zum Stichtag 29. März 2023 (dem Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzentwur-fes durch das Bundeskabinett) in Deutschland befinden. Dies gilt allerdings nur für Titel nach §§ 18a, 18b und 19c Abs. 2 AufenthG.
- Umwandlung der Ausbildungsduldung in eine Aufenthaltserlaubnis (§ 16g AufenthG-E): Die Ausbildungsduldung (sog. 3+2-Regelung) in § 60a AufenthG wird in eine Aufenthaltserlaubnis umgewandelt. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen bleiben unverändert. Wird das Ausbildungsverhältnis vorzeitig beendet oder abgebrochen, wird einmalig um sechs Monate die Möglichkeit zur Suche nach einem weiteren Ausbildungsplatz zur Aufnahme einer Berufsausbildung gewährt. Die Bildungseinrichtung ist verpflichtet, dies unverzüglich, in der Regel innerhalb von zwei Wochen, der zuständigen Ausländerbehörde schriftlich oder elektronisch mitzuteilen. § 104 Abs. 15 AufenthG-E regelt die Gleichstellung von Ausländern, die bereits im Besitz einer Ausbildungsduldung sind bzw. diese bis zum Inkrafttreten des Gesetzes erhalten, mit denjenigen, die nach Inkrafttreten eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.
- Zweckwechsel für Fachkrafttitel: Der Grundsatz, dass eine Aufenthaltserlaubnis in der Regel nur erteilt werden kann, wenn die Einreise mit dem richtigen Visum erfolgt ist, bleibt bestehen. In engen Grenzen jedoch soll künftig der Wechsel aus Schengen-Visa in einen Fachkräftetitel in Deutschland möglich sein, ohne dass vorher eine Ausreise und ein Visumantrag aus dem Ausland gestellt werden muss. §§ 18a und 18b AufenthG werden hierfür zu Anspruchstiteln umgewandelt und § 5 Abs. 2 und 3 AufenthG angepasst.
- Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung zur Arbeitsplatzsuche (§ 20 AufenthG-E): Diese kann einmalig um bis zu sechs Monate verlängert werden, wenn der Lebensunterhalt gesichert ist.
- Erleichterung Familiennachzug für Fachkräfte (§ 36 AufenthG-E): Künftig muss kein ausreichender Wohnraum nachgewiesen werden für den Familiennachzug. Ist der eigene Lebensunterhalt gesichert, können nun auch die Eltern nachziehen.
- Beschleunigtes Fachkräfteverfahren (§ 81a Abs. 1 AufenthG-E): Es wird in § 81a Abs. 1 AufenthG klargestellt, dass Arbeitgeber zur Durchführung des beschleunigten Fachkräfteverfahrens auch Dritte bevollmächtigen können.
- Aufenthaltserlaubnis für Gründer (§ 21 Abs. 2 b AufenthG-E): § 21 Abs. 2b AufenthG-E schafft eine neue Aufenthaltserlaubnis für Gründerstipendiaten.
- Zentralen Servicestelle für Anerkennung (ZSBA): Die ursprünglich lediglich bis 31. Dezember 2023 als Modellvorhaben bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) einge-richtete ZSBA wird in § 421 b SGB III um drei Jahre bis 31. Dezember 2026 verlängert.
- Weitere Senkung der Einkommensschwelle bei der Blauen Karte EU (§ 18g Auf-enthG-E): Zum Erhalt der Blauen Karte wurde die Einkommensschwelle auf 50 % (43.800 €) statt wie geplant 56,6 % (49.580 €) der Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung gesenkt.
- Protokollerklärung zum Thema Verwaltungsverfahren: Auf S. 31 f. der Beschlussempfehlung geben die Koalitionsfraktionen zu Art. 12 (Inkrafttreten) zu Protokoll, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, im Rahmen einer externen Machbarkeitsstudie zu prüfen, inwieweit durch Zentralisierung der Verfahren der Erwerbsmigration bei der BA, dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten, anderen Behörden oder einer neuen Behörde eine Effizienzsteigerung erreicht werden kann. Die Machbarkeitsstudie soll auch die Schaffung einer digitalen Einwanderungsagentur umfassen und ist im Jahr 2024 vorzulegen. Die Fraktion der SPD erklärt zudem, dass sie die Erwartung habe, dass die erforderlichen Visa-Verfahren zu beschleunigen seien. Auch die Fraktion der FDP weist auf die Wichtigkeit der besseren Umsetzung hin.
Das novellierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz enthält aus Sicht des Handwerks zahlreiche gute Ansätze, um Hürden aus dem Weg zu räumen und den Zuzug von ausländischen Fachkräften, die im Handwerk so dringend benötigt werden, nach Deutschland zu erleichtern. So wird zu Recht erstmals für ausländische Fachkräfte mit Berufserfahrung für alle Branchen ein Zuwanderungsweg geschaffen, der nicht zwingend vorsieht, dass die Zuwanderer zuvor ein Anerkennungsverfahren durchlaufen müssen. Ist ein solches Verfahren dennoch nötig, kann das auch nachträglich erfolgen, also nach dem erfolgreichen Start in einem deutschen Betrieb.
Positiv zu bewerten ist zudem, dass die Westbalkan-Regelung ausgeweitet und entfristet wurde. Künftig können 50.000 Staatsangehörige aus den Ländern, für die die Regelung gilt, einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten statt der bisherigen 25.000 Menschen. Insbesondere das Baugewerbe kann von diesen zusätzlichen Arbeitskräften profitieren. Ob die Erleichterungen beim Familiennachzug oder die Chancenkarte zur Arbeitsplatzsuche auf Basis eines Punktesystems tatsächlich zu mehr Erwerbsmigration führen, wird sich allerdings erst in der Praxis zeigen.
Damit all diese Regelungen tatsächlich greifen und Fachkräfte aus dem Ausland schnell und in ausreichend großer Zahl nach Deutschland kommen, müssen sie nun rasch und unbürokratisch umgesetzt werden. Das beste Gesetz nützt nichts, wenn zu viel Bürokratie zu bewältigen ist und es an der Umsetzung hapert. Nach wie vor dauern Visaverfahren zu lange, die Ausländerbehörden sind überlastet und vor allem den kleinen und mittelständischen Betrieben fehlt es an konkreten Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen bei der Integration vor Ort.
Positiv mit Blick auf die Beschäftigung von Schutzsuchenden, die bereits in Deutschland leben, ist es aus Sicht des Handwerks, dass die bestehende Vorschrift zur Ausbildungsduldung zukünftig ersetzt wird durch eine neue Regelung, die vorsieht, im Asylverfahren befindlichen geflüchteten Menschen eine Aufenthaltserlaubnis zur Berufsausbildung zu erteilen. Bereits in der Vergangenheit hat sich das Handwerk intensiv für die Berufsausbildung von anerkannten oder geduldeten Asylbewerbern engagiert und ihnen eine Ausbildung ermöglicht. Die Zahlen sprechen für sich: 23.000 geflüchtete Menschen befinden sich derzeit in einer betrieblichen Ausbildung im Handwerk, was den starken integrativen Charakter dieses Wirtschaftsbereiches verdeutlicht. Jetzt erwartet das Handwerk, dass die neue Regelung bundeseinheitlich und rechtssicher durchgeführt wird, damit Ausbildungsbetriebe und ihre Auszubildenden eine verlässliche Grundlage für ihre Planung erhalten.